Eigenverantwortung und Politik

gasskulptur

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Vorweg: Ich weiß, dass Grundsatzthemen sich sehr gut eignen, Internetcommunities zu sprengen und vermute auch, dass meine Position hier keinen großen Anklang finden wird. Trotzdem finde ich es wichtig, auch Grundsätzliches zu erörtern.

Es ist offensichtlich, dass die Menschheit, genauer gesagt, bestimmte Gesellschaftsstrukturen, derzeit dabei sind, die Biosphäre für ihre aktuellen Bewohner_innen unbewohnbar zu machen. Das betrifft bei Weitem nicht nur den Klimawandel, der durch seine Allgegenwärtigkeit und durchschlagende Wirkung beeindruckt.

Ich glaube auf keinen Fall daran, dass durch Ingenieurstechnologie allein eine Umkehr der Entwicklung möglich ist. Dementsprechend wird es nicht möglich sein, den materiellen Lebensstandard für die global Privilegierten – zu denen ich bereits ALG-II-Beziehende zähle, die sich keineswegs besonders "umweltschonende" Produkte leisten können – zu halten. Die Zerstörungen, Vergiftungen usw. durch industrialierten Anbau, Mineralienförderung, Energieumwandlung usw. sind zu groß, als dass sie durch ein paar Ökoprodukte ausreichend gemildert werden könnten. So wenig Biofleisch zu essen, so langlebige, energiesparende Autos zu bauen ist gar nicht möglich. Denn sich derartige Gedanken machen zu können und entsprechende Produkte zu kaufen sind bereits zwei Privilegien, die nur wenigen zuteil werden. Dementsprechend sind diese Produkte – erst recht global gesehen – teure Nischenprodukte.
Kapitalistische Konzerne sind weiterhin daran interessiert, auch den ganzen Rest zu produzieren, zu verkaufen und zu bewerben. Alternativen sind nicht konkurrenzfähig (außer eben als Nische). Die Konkurrenz besteht auch nicht nur auf der Ebene des Marktes, sondern kann auch auf staatlicher Ebene stattfinden, wie z.B. an vielen desaströsen Praktiken der UdSSR oder aktuell an Fracking und Teersandverarbeitung in Nordamerika zu sehen ist.

Dennoch wird immer auf die Eigenverantwortung der Endverbraucher_innen gedrungen. Das empfinde ich als verlogen und Garantie für eine Zukunft voll Siechtum.
Ökologische Produkte zu benutzen ist wichtig, um das ökologische Bewusstsein zu stärken, sich vielleicht allmählich ein wenig umzustellen usw.; insbesondere an den wenigen Stellen, an denen es konkrete Auswirkungen hat, macht es Sinn. Dennoch sind sogenannte umweltschonende Produkte umweltzerstörend, bloß ein kleines bisschen weniger als (erst seit einigen Jahrzehnten) "herkömmliche". Läge es an den einzelnen Menschen, wäre eine ziemlich umfassende Konsumverweigerung nötig, die aber z.B. in der west- und mitteleuropäischen Gesellschaft zu sozialer Ausgrenzung führt.
Zur Rettung der Welt braucht es auch eine transnationale, beinahe globale Bewegung, die die Politik ändert. Der persönliche Konsum ist dabei nur eine kleine Stütze.

Es geht mir in diesem Thread nicht darum, eine globale Ökobewegung zu formieren, sondern um die Gewichtung von alltäglicher Eigenverantwortung und Verantwortung, die nur in aktiver, selbstgemachter Politik umgesetzt werden kann. Dass ich da derzeit ein radikales Missverhältnis sehe, ist vermutlich deutlich geworden, das richtige Maß kenne ich trotzdem nicht... Teilt bitte eure Gedanken mit, wenn es euch interessiert.
 

Blockhausbauer

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Hallo Gasskulptur,
danke für deinen Beitrag zunächst. Ich denke auch, dass es sehr schwierig werden dürfte, allein aufbauend auf der Eigenverantwortung der grossen Masse zu setzen. Insbesondere, weil die grosse Masse nicht eigenverantwortlich denkt und handelt. Viele denken auch, umweltfreundlich zu leben, weil sie Müll trennen. Dies führt mich zumindest immer wieder in so ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Manchmal schäme ich mich dann für das was ich bin. Trotzdem sollte uns das Ganze nicht in die Resignation führen! Stattdessen sollten wir, da wir ja herausgefunden haben, dass etwas nicht gut funktioniert, uns zusammentun und es "den anderen" zeigen, dass es auch so geht. Leider finden selbst wir selten einen gemeinsamen Konsens, sodass viele von uns dann doch wieder allein auf weiter Flur dastehen.

Da du (so wie ich auch) glaubst, dass Ingenieurskunst allein nicht zu einer Lösung des Problems führt, braucht es wohl etwas anderes - wenigstens zusätzlich. Es nennt sich Suffizient. Bewusster Verzicht durch Menschen. Verzicht heisst nicht nur, etwas nicht zu tun, sondern es kann auch heissen, etwas anders zu tun. Auch wenn das andere manchmal mühsamer ist.

Ein gutes Beispiel sehe ich immer wieder in Urlaubsreisen. Sagen wir mal so: Eine Urlaubsreise ist etwas besonderes. Man begibt sich an einen anderen Ort, um etwas anderes zu tun. Zur Zeit ist es dabei "in", entweder etwas möglichst spektakuläres zu machen (mit Ski aus einem Hubschrauber springen um dann den ganzen Berg im Tiefschnee herunterfahren zu können) oder möglichst weit weg zu sein. Es scheint also in der nahen Umgebung nichts interessantes mehr zu geben. Eine Art Sinnesleere ist entstanden. Man begibt sich weit weg, um den Sinn des weit weg seins zu finden. Und vielen gefällt es ja dann auch dort, wo sie sind, aber vielen hätte es auch in 50km Entfernung gefallen... Worum geht es also dann? Es gibt mehrere Begründungen, die niemand gern hören will und sie alle resultieren in einem: Demonstration von Wohlstand. Dabei strebt in unserer Gesellschaft jeder nach Wohlstand. Und Wohlstand ist oft das, was vor Jahren noch Luxus war. Viele merken dabei gar nicht mehr, wie sie dem grossen Strom nachlaufen, nur um als wohlständig und damit als normal zu gelten. Deshalb ist die Frage: Wie kann man Menschen davon überzeugen, dass der Urlaub im Thüringer Wald genau so schön ist, wie der auf Teneriffa? Wie kann man Menschen beibringen, dass Urlaub schöner ist, je seltener man Ihn hat?

Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der jeder das machen kann, was er will, solange er keinem dabei schadet. Doch schadet er wirklich keinem? Da sind Menschen wohl etwas zu wenig weitblickend. Man kann offenbar nur jemandem unmittelbar schaden, indem man direkt mit Ihm in Interaktion tritt, oder indem man etwas tut, was dem anderen innerhalb einer Verjährungsfrist schaden wird. Doch wen soll ich verklagen, wenn sich in 20 Jahren herausstellt, dass ich wegen Umweltgiften krank geworden bin und meine Lebensqualität und Lebenserwartung drastisch verschlechtert sind? Niemanden, denn es wird mir nichtmal gelingen, zu beweisen wer es war und womit. Eigentlich waren es sogar extrem viele, die mich getötet haben werden. Doch das widerspricht den Gesetzen der Demokratie: Wie kann etwas, das fast alle gemeinsam tun falsch sein? Wer soll dann bitte über alle richten? Vermutlich ist aber der Zustand, in dem ich mich in 20 Jahren befinden werde gar nicht mal krank, da ja die Mehrheit in diesem Zustand sein wird. Vielleicht ist es einfach der Normalzustand, sozusagen eine natürliche Todesursache?

Sehen wir es also so traurig, wie es ist: Der Mensch ist nicht intelligent genug, um sich selbst zu mässigen. Das heisst natürlich noch lang nicht, dass diejenigen, die diesen Missstand entdeckt haben, nicht dagegen kämpfen sollten. Die einzige Chance wäre wohl, die breite Masse zu bewegen, indem ein nachhaltiger Lebensstil "cool" werden würde. Leben wir es Ihnen vor!

Leider mache auch ich immer wieder schlechte Erfahrungen, die mich beschäftigen.

Da ist der Autofahrer vor dem Balkon, der 10 Minuten lang seinen Motor tuckern lässt, während er am Handy schreibt. Ich bat Ihn den Motor abzustellen und stiess auf wenig Freundlichkeit. Ich werde trotzdem nicht aufhören, Menschen anzusprechen.
Da ist mein Freund Adam, der nur noch wenig Zeit zum klettern hat, weil er seit kurzem immer mit dem Motorrad im Kreis herumfahren möchte.
Da ist meine Ex-Affäre, die extremst beleidigt war, weil ich Ihr vorschlug, sich ein Elektro-Motorrad zu kaufen statt eines Benzinbetriebenen.
Da ist mein Bekannter (Freund zu sagen wäre übertrieben) Andreas, der übers Wochenende nach Berlin geflogen ist, nachdem er bereits Anfang Juni nach London geflogen ist, Ende April nach Dresden, Im Februar in die Karibik, Ende Januar nach Leipzig.
Auch habe ich einige Freunde, die alles für Ihren Arbeitgeber tun, ohne es zu hinterfragen. So wird ständig durch die Welt gejettet und der Arbeitgeber ist ja schuld.

Was kann uns also noch retten? Nicht viel. Das Ende aller fossilen Energie- und Rohstoffquellen oder ein grosses Sterben durch einen Meteoriten oder eine Krankheitswelle. Doch darauf warte ich nicht, ich ändere etwas für mich selbst und fühle mich gut dabei. denn daheim ists am schönsten.
 
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